"Aber wir sind doch Exportweltmeister"
Das Fundament für den verhängnisvollen Wunderglauben an die nützlichen Kräfte der Globalisierung bilden Irrtümer und falsche Zahlenwerke. Ein besonderes Gewicht entfällt dabei auf Deutschlands Titel als Exportweltmeister. Denn, so die einleuchtende Erklärung, belegt dieser Erfolg doch, wie gut dieses Land im Rennen liegt und wie sehr es von seinen vielen Exporten profitiert. Doch diese Annahme ist in vielerlei Hinsicht leider falsch! Einmal davon abgesehen, dass eine große Exportabhängigkeit alles andere als erstrebenswert ist, sind auch die Statistiken teilweise irreführend.
Exportweltmeister:
1. Der Export ist nur die eine Seite der Medaille
Hohe
Exporterlöse sagen nur bedingt etwas aus über die
Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Denn die Kehrseite der
Medaille bilden Importe, durch die inländische Hersteller oft in
einen ruinösen Preiskampf gezwungen werden. Im direkten
Zusammenhang mit dem Titel "Exportweltmeister" wird deshalb oft die
Handelsbilanz zitiert, die auch die Importströme
berücksichtigt.
Exportweltmeister:
2.
Nicht die Handelsbilanz, sondern die Leistungsbilanz
zählt!
Aber
was nützt eine Aufrechnung, in der wichtige Bereiche einfach
ausgeklammert werden. Die Handelsbilanz berücksichtigt nicht
einmal Dienstleistungen und ist deshalb für eine Nutzenbewertung
völlig indiskutabel.
Bezieht
man den Tourismus, die asiatische Softwareentwicklung, die
ausländischen Call- und Buchhaltungscenter usw. in die Rechnung
mit ein, dann schmilzt der Riesenüberschuss der Handelsbilanz
schon beträchtlich zusammen. Eine ehrliche Leistungsbilanz,
welche den grenzüberschreitenden Austausch der Dienstleistungen
und auch die massenhaften Importe der Touristen mit einbezieht,
wäre über die Jahre gesehen weit weniger beeindruckend.
Beachtenswert wären auch die Geldabflüsse ins Ausland: Hohe
Milliardensummen werden von Gastarbeitern in die Heimatländer
transferiert, Altersrenten ins Ausland überwiesen, viel Geld
fließt in die EU-Kassen, Entwicklungshilfen usw..
Exportweltmeister:
3. Die ausländischen Zulieferungen werden nur zum Teil
berücksichtigt!
Aber
selbst, wenn wir nur den reinen Warenverkehr betrachten, so stimmen
die Zahlen trotzdem nicht. Denn in vielen deutschen Exporten
steckt ein hoher Anteil an ausländischen Vorleistungen,
der oft gar nicht ermittelt und herausgerechnet wird (bzw. nicht in
angemessener Höhe in der Importbilanz auftaucht).
Die
Fertigungstiefe an den einzelnen Endprodukten nimmt in Deutschland
tendenziell ab,
verlässliche Zahlen über den Wert des deutschen Anteils an
den Ausfuhren gibt es nicht. Bei vielen Automodellen "made in
Germany" soll inzwischen der deutsche Anteil an der
Wertschöpfung nur noch bei ca. 30 % liegen.
Auch in anderer Weise werden Importe tunlichst ignoriert. Man
denke zum Beispiel nur an die vielen Einfuhren deutscher
Auslandsurlauber.
Exportweltmeister:
4. Kriminelle Scheinexporte hübschen die
Exportbilanz!
Überall,
wo Steuern anfallen, wird auch getrickst und betrogen. So entpuppen
sich viele deutsche Exporte bei näherer Betrachtung als reine
Luftgeschäfte - der Export wurde nur vorgetäuscht, um eine
Rückerstattung der Mehrwertsteuer zu ergaunern. Über
fingierte Firmen wird dann später ein Reimport inszeniert, der
aber nirgends in den Büchern erscheint (weil dann Mehrwertsteuer
anfallen würde). Über Scheinfirmen wird die Ware dann
weitergereicht, bis sie "sauber" ist und die wahre Herkunft nicht
mehr ermittelt werden kann.
Exportweltmeister:
5. Kleinrechnung der Importe!
Das
gleiche Manöver vollzieht sich im großen Stil auch bei den
Importen. In Wahrheit führen wir weit mehr Produkte ein als in
den Statistiken ausgewiesen. Über vorgeschaltete Tarnfirmen
werden Waren häufig zu extrem niedrigen Fantasiepreisen
importiert, so das nur wenig Mehrwertsteuern und Zölle anfallen.
In einer kleinen Kette von Scheinfirmen wird diese Ware dann
verschoben, bis sie endlich in einer echten steuerpflichtigen Firma
mit reellen Preisen wieder auftaucht.
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Exportweltmeister:
6. Deutschland auf Platz 8
Exporte
2005 je Einwohner in US-Dollar
1. Singapur, 53087 Dollar
2. Hongkong, 41483 Dollar
3. Belgien, 32067 Dollar
4. Niederlande, 19637 Dollar
5. Schweiz, 17364 Dollar
6. Schweden, 14408 Dollar
7. Österreich, 13864 Dollar
8. Deutschland, 11816 Dollar
Was
sagen uns diese Zahlen?
1.
Das bei einem Vergleich pro Einwohner Deutschland gar nicht mehr so
toll dasteht.
2. Ein Vergleich ohne Berücksichtigung der
Ländergrößen sowieso lächerlich ist (wollen wir
uns mit Zwergstaaten messen?).
3. Der Export wenig mit dem Wohlstand zu tun hat (den Chinesen in
Hongkong geht es nicht viermal besser als uns).
4. Die Exportstatistik auch nichts über das tatsächliche
Produktionsvolumen oder die Produktivität aussagt
5. Das Deutschland seine Exporterfolge nicht der EU verdankt (die
Schweiz übertrifft uns bei weitem und gehört nicht zur
Europäischen Union).
Schon von der Logik her muss man doch wohl einsehen, dass irgendetwas nicht stimmen kann, wenn ein Exportweltmeister wie Deutschland solch riesige Probleme mit der Massenarbeitslosigkeit, den Staatsfinanzen und dem Erhalt seines Wohlstandes hat.
Als ich vor ca. 15 Jahren erstmals die Exportstatistiken in Frage stellte und vor einer gefährlichen Fehlinterpretation warnte, begegnete man mir mit Unverständnis und Kopfschütteln. Insofern erfüllt es mich mit Genugtuung, wenn inzwischen zahlreiche Experten meine Skepsis teilen (selbst wenn sie diese in Büchern und Interviews als ihre eigene Erkenntnis vermarkten).
PS1:
Die Zukunft sieht düster aus!
In
Deutschland baut man nach wie vor auf den Export als fundamentale
Existenzgrundlage. Dabei werden die jetzigen Scheinerfolge einfach
fortgeschrieben und in keinster Weise damit gerechnet, dass sich die
Bedingungen grundlegend ändern könnten. Wie ignorant muss
man sein, wenn man angesichts der riesigen Lohnunterschiede meint,
Deutschland könnte seine jetzige Position am Weltmarkt ohne
protektionistische Maßnahmen (Zölle) noch lange halten.
Wenn
in vielen anderen Staaten für ein Bruchteil des hiesigen Lohnes
geschuftet wird, dann ist es doch nur ein Frage der Zeit, wie sich
das Branchensterben in Deutschland fortsetzt und selbst modernste
Produktionsanlagen hier abmontiert werden.
Was heute bei AEG abläuft, wird hinter verschlossenen Türen
längst auch schon bei anderen Produzenten diskutiert und bald
überall zur Debatte stehen.
Die
Politik darf deshalb nicht länger darauf vertrauen, dass
Deutschland auch in zwanzig Jahren auf dem Weltmarkt noch eine
führende Rolle spielt. Vor allem darf sie sich nicht weiterhin
an schönfärberischen Handelsbilanzen berauschen.
Ein Hochlohnland wird den internationalen Preiskampf ganz gewiss
nicht gewinnen können - es hat langfristig keinerlei
Chance.
Weil
Deutschland keinen Einfluss auf die Wettbewerbsbedingungen am
Weltmarkt hat, muss es sich mehr und mehr auf seinen eigenen
Binnenmarkt besinnen.
Denn nur dort kann der Staat die Bedingungen selbst bestimmen und
für den Erhalt der eigenen Wirtschaft Sorge tragen. Wie
Deutschland sich in der globalisierten Welt behaupten und den
drohenden Exodus seiner Industrie abwenden kann, beschreibt mein
Buch
"DAS
KAPITAL und die Globalisierung".
PS2:
Alle Hochlohnländer werden die gleichen Probleme
bekommen
Ich
möchte noch anmerken, dass die Folgen des totalen Freihandels
natürlich kein typisch deutsches Problem darstellen - alle
größeren westlichen Industrienationen werden früher
oder später in die gleiche Bedrängnis geraten (falls nicht
rechtzeitig über Zollschranken gegensteuert wird).
Und dann wird es vielleicht ähnlich ablaufen wie 1929. Damals endete die übertriebene Freihandelseuphorie in einer großen Weltwirtschaftskrise, die nur durch extremen Protektionismus und Nationalismus überwunden werden konnte. Muss es erst wieder so weit kommen?
Nachtrag
April 2010:
Irlands
Exportwunder sollte zu denken
geben...
Selbst
im Krisenjahr 2009 vermeldete das kleine Irland einen
Handelsbilanzüberschuss von 37 Milliarden Euro
(gemäß der Beölkerungszahl auf Deutschland
umgerechnet wären es etwa 740 Milliarden Euro).
Dabei geht es den Iren kaum besser als den Griechen, die
Arbeitslosenzahlen und das Haushaltsdefizit schnellten in
die Höhe, das Land befindet sich in einer tiefen
Rezession und muss sparen - und dann diese fantastischen
Exportzahlen, die die wahre wirtschaftliche Situation
völlig auf den Kopf stellen.
Nur
bei weltweit angeglichenem Lohn-, Preis- und Steuerniveau könnte
man auf Zollschranken verzichten!
Aber weil
es das nun einmal nicht gibt und die Unterschiede so gigantisch sind
wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte, braucht es ein wirksames
Regulativ - also Einfuhrzölle.
Nachtrag März 2017: Im nahegelegenen Husum hat gerade ein
Windkrafthersteller die Verlagerung der Produktion nach Portugal
beschlossen. In Husum lagen die Lohnkosten bei 33 Euro die Stunde, in
Portugal fallen lediglich 13 Euro an. Der Standortwechsel lohnt trotz
weiter (umweltschädlicher) Transportwege.
Nur
was den Export von Arbeitsplätzen betrifft, ist Deutschland ganz
bestimmt "Exportweltmeister".
Wer
kennt schon das wahre Ausmaß der
Importe?
Nur
ein Beispiel: Jede 5. Zigarette wird in Deutschland illegal
eingeführt, allein dadurch entsteht dem deutschen Fiskus ein
Steuerschaden von vier Milliarden Euro.
Bei der Benzineinfuhr ist es noch schlimmer: Würden alle PKWs
und LKWs auf deutschen Straßen auch hier tanken, könnte
sich der Fiskus über zusätzliche Einnahmen von
jährlich etwa zehn Milliarden Euro freuen. Warum schafft es die
EU nicht, einheitliche Mineralölsteuern zu verordnen (dann
wäre zumindest dieses Schmarotzertum aus der Welt
geschafft)?
Nachtrag
8. 1. 2020:
Getürkte
Exporte innerhalb der EU!
Deutsche
Wirtschaftsforscher vermelden (endlich) einen gigantischen
Mehrwertsteuerbetrug. Laut offzieller Zahlen ergab sich letztes Jahr
innerhalb der EU ein Handelsüberschuss von 307 Milliarden Euro.
Bei einem Handel mit sich selbst kann es aber eigentlich keine
Überschüsse geben. Der Exportschummel kostet die EU-Staaten
allein schon bis zu 60 Millliarden Euro. Weitere
Steuereinnahmeverluste gibt es mit vorgetäuschten Exporten in
außereuropäische Länder. Der aufgebauschte Welthandel
(Zollabbau, "internationale Arbeitsteilung") lässt sich
steuerlich schon lange nicht mehr kontrollieren. Aber für den
Kauf unserer Brötchen brauchen wir neuerdings eine
kostenaufwendige Bonpflicht. "Verkehrte Welt" möchte man
meinen.
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www.anti-globalisierung.de
Impressum
©
Manfred Julius Müller. Erstveröffentlichung
2006
Manfred Julius Müller analysiert und kritisiert seit 40 Jahren weltwirtschaftliche Abläufe. Er ist Autor verschiedener Bücher zu den Themenkomplexen Globalisierung, Demokratie, Kapitalismus und Politik.
Demokratie
/ Rechtsstaat / Menschenrechte:
"Die
Würde des Menschen ist unantastbar."
(Stimmt
das?)
Der
Rechtsstaat verkommt zur Lachnummer!
Die
Inflationierung und Vergewaltigung der Menschenrechte
Der
Gesinnungsjournalismus hat sich ausgebreitet!
Agenda
2010/Bürgergeld. Damit Arbeit nicht mehr lohnt?!
Kapitalismus
& Zollfreihandel:
Was
wollen die Globalisierungskritiker
überhaupt?
Gibt
es keine Alternative für Deutschland?
Die
Systematik der Konjunkturzyklen und
Wirtschaftskrisen
Funktioniert
der Kommunismus doch?
Zu
viele Rentner, Fachkräftemangel, Kinderarmut, mangelhafte
Leistungsgerechtigkeit - wann kollabiert unser
Sozialstaat?
Deutschfeindlichkeit
/ Vergangenheitsbewältigung:
Was
ist Rassismus? Und was ist Rufmord?
Terrorismus:
Die unsägliche Instrumentalisierung von Wahnsinnstaten
War
die Kolonialisierung ein einziges Verbrechen?
Vertuschungen,
Verleumdungen & Propaganda:
"Die
AfD hat doch gar kein Programm, bietet keine
Lösungen!"
Bilden
frisierte Statistiken und die staatliche Propaganda die Basis
für unsere Demokratie?
Anmerkung:
Der Sinn einzelner Thesen erschließt sich oft erst im
Zusammenhang mit anderen Artikeln des Autors. In einem einzelnen
Aufsatz können nicht jedesmal alle Hintergründe und
Grundsatzüberlegungen erneut eingeflochten werden.
Bücher
von Manfred J. Müller
"Ich lese nur das, was meine eigene Meinung bestätigt!
Ich will mich ja schließlich nicht
ärgern!"
Mit
dieser weit verbreiteten Haltung ist der Demokratie aber wenig
gedient. Merkwürdig, dass man derlei Sprüche gerade von
Leuten hört die vorgeben, die Demokratie retten zu wollen und
sich selbst für tolerant halten.