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Deutschland und die Globalisierung

Ist Deutschland wirklich der große Gewinner der Globalisierung? Oder wird die Öffentlichkeit systematisch belogen?

 

Es ist schon seltsam, wie ausgerechnet Deutschland immer wieder zum Gewinner der Globalisierung hochstilisiert wird. Denn ausgerechnet in Deutschland sinken, wie in kaum einem anderen Staat, seit Beginn der Globalisierung Anfang der 1980er Jahre die realen Arbeitseinkommen. Was nützt es der Bevölkerung, wenn trotz sinkender Löhne die Wirtschaftsleistung, der Export und die Produktivität weiter zulegen? Am Ende zählt doch nur, wie sich der Wohlstand und die Lebensqualität der breiten Bevölkerung entwickelt. Und diese Bilanz ist, trotz aller wirtschaftlichen Scheinerfolge, extrem negativ.
Dabei geht es ja längst nicht nur um die Herabsetzung der Arbeitseinkommen. Wichtig sind auch die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt! Und die haben sich mit der Globalisierung dramatisch verschlechtert. Von der damals als Selbstverständlichkeit angesehenen Vollbeschäftigung haben wir uns Lichtjahre entfernt. Heute wird bereits gejubelt, wenn die
offiziellen Arbeitslosenzahlen in einer Phase der künstlich erzeugten Billiggeldschwemme mal wieder unter die 2,5-Millionen-Grenze rutscht.

Selbst gut ausgebildete Akademiker sind heute oft heilfroh, wenn sie überhaupt einen Job finden - auch wenn dieser nur befristet ist und schlecht honoriert wird. Die Entgelte für einfache Arbeiten sind im Laufe der Globalisierungsära so weit heruntergeprügelt worden, dass es eine Schande ist und die Not der arbeitswilligen Bevölkerung offenbart. Umgerechnet 3,50 Euro Stundenlohn für Zimmermädchen in Luxushotels - wer hätte sich vor 30 Jahren eine solche Unverschämtheit bieten lassen? Zwar gibt es inzwischen einen Mindestlohn, aber den zu umgehen ist in unserem Rechtsstaat kein Problem. Deutschland als Gewinner der Globalisierung darzustellen ist geradezu absurd. Wir sind einer der größten Verlierer, und es wird Zeit, dies offen einzugestehen.

Diese Einsicht bzw. dieses Eingeständnis ist notwendig, damit endlich einmal wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Denn bei der Globalisierung handelt es sich schließlich nicht, wie immer wieder gerne behauptet, um ein unumkehrbares Naturereignis. Die Globalisierung wurde auf Drängen des Großkapitals künstlich erzeugt - in erster Linie durch den Abbau der Zölle.
Man könnte den durch den Zollabbau entfachten globalen Dumpingwettbewerb selbstverständlich beenden und den Prozess wieder umkehren - wenn man es denn will. Aber der Druck seitens der Bevölkerung scheint noch zu gering. Es gelingt der Kapitallobby nach wie vor mithilfe der Medien, die Globalisierung als allgemeinen Segen und wohlstandsfördernd zu verkaufen. Der drohende wirtschaftliche Kollaps (immer mehr Branchen erliegen der internationalen Billigkonkurrenz) wird über neoliberale Gesetze, Lohnsenkungen und einer beispiellosen Billiggeldschwemme hinausgeschoben.

 

Sichert der Export Deutschlands Wohlstand?

Die Globalisierungslobby will uns immer wieder einreden, allein der Export sichere unseren Wohlstand. Welch eine verquere Vorstellung! Denn der Export zwingt unser Land in gefährliche strategische Abhängigkeiten. Wenn zum Beispiel die Weltkonjunktur einbricht, trifft es die exportorientierten Staaten besonders hart.
Vor allem aber muss eine Exportnation ständig dem Drängen der Exportindustrie nachgeben. Diese braucht nur mit Auslagerungen drohen und schon bekommt sie weitgehend, was sie will: Subventionen, Steuererleichterungen, die Möglichkeit, Gewinne in Stueroasen zu verlagern, unterstützende Forschungsarbeit an den Unversitäten, eine auf die Konzerne abgestimmte Infrastruktur, eine Billiggeldschwemme, die von den Sparern finanziert wird usw..
Leidtragende dieser Verachtung des eigenen Binnenmarktes sind die Arbeitnehmer, die sich dem globalen Lohndumping stellen müssen. Leidtragende sind aber auch alle traditionsreichen Branchen, die gedankenlos dem Mythos der Globalisierung geopfert wurden. Deutschland kann sich in den meisten Bereichen nicht mehr selbst versorgen! Die meisten Konsumgüter werden im Ausland produziert. Ob Büromaschinen, Handys, Computer, Schuhe, Medikamente, Textilien, Küchengeräte, Kameras oder was auch immer - Deutschland hat weitgehend abgedankt und kann nur noch zuschauen bzw. sich auf die ausländischen Hersteller oder Zulieferer verlassen.

Die vielgepriesene "internationale Arbeitsteilung" wurde zur Farce, denn hinter dieser Floskel versteckt sich lediglich der brutale Standortwettbewerb um die niedrigsten Löhne, Steuern, Arbeits- und Umweltauflagen. Würde man weltweit angemessene Lohn- und Steuerstandards durchsetzen, würde es die internationale Arbeitsteilung gar nicht geben (denn dann macht sie keinen Sinn mehr).
Noch immer vertrauen führende Poltiker blindlings den Empfehlungen der Kapital- und Globalisierungslobby und obliegen dem verhängnisvollen Freihandelswahn, ohne über die segensreiche Funktion des Zolls (dem viele Hochkulturen ihren Aufstieg verdankten) überhaupt jemals nachzudenken.

 

Nachtrag März 2015: Momentan wird gejubelt, weil die Zahl der offiziellen Arbeitslosen auf 2,5 Millionen gesunken ist und es den südeuropäischen Staaten weit schlechter geht als Deutschland. Dabei wird kaum wahrgenommen, dass wir diese Scheinblüte nur einer abenteuerlichen Billiggeldschwemme und dem von der EZB inszenierten Währungsdumping zu verdanken haben. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch diese Blase platzt. Trotz teuer erkaufter Konjunktur gilt immer noch: Deutschland hat ein Arbeitskräftepotential von 50 Millionen Menschen - aber nur gut 30 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das sagt doch wohl alles.

 

"Die Corona-Krise beweist einmal mehr, wie abartig lange länderübergreifende Lieferketten, Im- und Exportabhängigkeiten sind. Auch die Ausbreitung einer Pandemie war angesichts der Radikalisierung der Globalisierung nur eine Frage der Zeit." (Manfred Julius Müller)

 

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© Manfred Julius Müller (unabhängiger, parteiloser Wirtschaftsanalyst und Zukunftsforscher). Erstveröffentlichung Mai 2009


 


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Anmerkung: Der Sinn einzelner Thesen erschließt sich oft erst im Zusammenhang mit anderen Artikeln des Autors. In einem einzelnen Aufsatz können nicht jedesmal alle Hintergründe und Grundsatzüberlegungen erneut eingeflochten werden.

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